Geschichte des Ortes
Bevor wir mit der Geschichte des Museums Kysylyn beginnen, lohnt es sich, über Kysylyn selbst zu sprechen, das erstmals am 9. November 1449 in den historischen Quellen erwähnt wurde. Im Jahr 1580 wurde Kysylyn zur Stadt mit Markt- und Messerecht erhoben, was wiederum Handwerker und Kaufleute verschiedener Nationalitäten anzog. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde die Stadt zu einem der Zentren des Sozinianismus (eine religiöse Bewegung, die das Dogma der Dreifaltigkeit ablehnte und von den urchristlichen Idealen des Täufertums beeinflußt war). Später zog die Rakówer Akademie, eine von protestantisch-unitarischen Polnischen Brüdern in Raków gegründete Hochschule mit vielen ihrer Lehrer und Schüler hierher.
Nach der Teilung des polnisch-litauischen Staates gehörte Kysylyn seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zum Russischen Reich. Rund um Kysylyn entstanden zahlreiche deutsche und tschechische Siedlerkolonien. Im Ersten Weltkrieg verlief die Frontlinie fast zwei Jahre lang durch Kysylyn, weshalb die Stadt fast vollständig zerstört worden war. Nach dem Weltkrieg wurde Kysylyn, das inzwischen Teil der Republik Polen geworden war, wieder aufgebaut und die während des Krieges evakuierten Einwohner kehrten in die Stadt zurück.
In der Zeit des Zweiten Weltkriegs ereigneten sich in Kysylyn zwei große Tragödien – die Ghettoisierung und Ermordung der jüdischen Einwohner durch die deutschen Besatzungstruppen sowie ein Angriff der Ukrainischen Aufstandsarmee auf polnische Gottesdienstbesucher in der katholischen Kirche. Das Ende des Zweiten Weltkriegs bedeutete eine weitere Zäsur. Kysylyn kam zur Sowjetunion und verlor seinen Status als Stadt. Seine multinationale Kultur hörte auf zu existieren.
Kysylyn heute
Heute hat das kleine Dorf etwa 300 Einwohner. Es gibt eine Schule, einen Kindergarten, ein Gemeindezentrum, ein Postamt, ein medizinisches Zentrum, unser Museum sowie historische Denkmäler, wie eine Orthodoxe (ehemals griechisch-katholische) Kirche aus dem späten 18. Jahrhundert, Ruinen einer Karmeliterkirche und eines Karmeliterklosters aus dem 17. Jahrhundert, einen katholischen Friedhof (auf den orthodoxen und jüdischen Friedhöfen sind nur wenige alte Denkmäler erhalten), ein Holocaust-Mahnmal und mehrere Bunker aus dem Ersten Weltkrieg. Außerdem gibt es rund um Kysylyn eine wunderschöne Natur mit vielen Wäldern.
Museum
Die reiche, interessante und multiethnische Geschichte erforderte die Schaffung eines Museums. Bereits in den 1980er Jahren gab es mehrere Versuche in Kysylyn ein Museum zu eröffnen, die jedoch nicht erfolgreich waren. Am 8. November 2023 eröffneten Einwohner und ihre Nachkommen unser heutiges Museum Kysylyn. Wir legen größten Wert auf das Sammeln neuer Exponate sowie die Erforschung der Geschichte Kysylyns. Im Laufe unserer über einjährigen Tätigkeit ist es uns gelungen, mehrere Hundert Gegenstände zur Geschichte der Region zu sammeln. Dabei handelt es sich um zahlreiche Originale und Kopien alter Fotografien, Militärgegenstände aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, Gegenstände aus der Zeit der Polnischen Republik, Gegenstände aus dem Alltagsleben, Gegenstände aus der Geschichte der Juden usw. Um das Interesse der Einheimischen und Touristen zu wecken, haben wir mehrere Veranstaltungen durchgeführt, wie Workshops zur Erforschung der Familiengeschichte, einen Vortrag „120 Jahre Postgeschichte von Kysylyn“ sowie drei Ausstellungen „Kysylyn und Umgebung in Fotos des Ersten Weltkriegs“, „Kysylyn auf Karten des 17.-20. Jahrhunderts“ und „Briefe von Ostarbeitern aus der Umgebung von Kysylyn“
Im Sommer 2025 beginnt eine neue Saison, in der wir neben der Archivarbeit auch mit der Säuberung des katholischen Friedhofs beginnen werden. Wir planen, mehrere Expeditionen in die Nachbardörfer zu unternehmen, um alte Häuser zu fotografieren, die Erinnerungen der alten Bewohner aufzuzeichnen usw. Wir haben Ideen für die touristische Beschilderung von Kysylyn und der Umgebung und möchten Routen mit Bezug zu den deutschen Kolonisten, der Militärgeschichte des Ersten Weltkriegs, interessanten Naturschauplätzen usw. erstellen.
Aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine hat sich die Umsetzung vieler unserer Pläne verzögert oder musste verschoben werden. Aus dem gleichen Grund ist die Zahl unserer in- und ausländischen Besucher, nicht so hoch, wie wir uns wünschen würden. Aber wir glauben an eine bessere Zukunft und werden unsere Geschichte weiter erforschen!
Artur Alioshyn
Weitere Informationen
Web: www.kysylyn.in.ua, facebook.com/kysylyn.museum
Nach der Umsiedlung deutscher Siedler aus Westwolhynien im Zusammenhang mit dem Hitler-Stalin-Pakt sind viele Zeugnisse zerstört worden, die an ihr Leben in der Region erinnern. Dörfer wurden zerstört, Friedhöfe dem Erdboden gleichgemacht. Eine Ausnahme bildet die ehemalige Kolonie Wincentówka, die ca. 30 km nördlich von Luzk in der heutigen Nordwestukraine liegt und heute Zavitne heißt. Einige Gebäude, die von den Sieldern errichtet wurden, haben wie durch ein Wunder den Zweiten Weltkrieg überstanden und werden bis heute von den Bewohnern des Dorfes genutzt. Im Dezember 2019 haben historisch interessierte Menschen aus der Region ein Museumszimmer zur deutschen Besiedlung eingerichtet.
Deutsche Kolonie Wincentówka
Deutsche Familien aus Schlesien, die zunächst als Holzfäller für die örtlichen wolhynischen Landbesitzer arbeiteten, gründeten am Anfang des 19. Jahrhunderts die Kolonie Wincentówka. Nachdem der Wald gerodet war, blieben sie als Kleinbauern vor Ort. Neben Landwirtschaft und Viehzucht betrieben sie Gartenbau und verarbeiteten Milch zu Butter und Käse. Als geschickte Handwerker stellten sie Haushaltsgegenstände, Werkzeuge, aber auch Pferdegeschirre und Wagen selbst her.
Die deutschen Kolonisten waren Lutheraner und bauten 1862 ein hölzernes Bethaus, das gleichzeitig als Schule für ihre Kinder diente. 1929 errichteten sie dann eine Kirche aus Stein, die mittlerweile von der orthodoxen Kirche genutzt wird. Laut der polnischen Volkszählung von 1921 lebten dort 212 deutsche Kolonisten.
Nach der Teilung Polens zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion wurden die Deutschen aus Wincentówka im Winter 1939/40 gemäß dem deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag umgesiedelt. Die von ihnen geräumten Häuser wurden anfangs mit zwangsumgesiedelten Ukrainern aus dem neuen deutsch-sowjetischen Grenzgebiet belegt. Später kamen weitere ukrainische Familien aus den umliegenden Dörfern von Wincentówka hinzu.
Das Dorf hatte den Zweiten Weltkrieg wie durch ein Wunder unbeschadet überstanden. Wohnhäuser, Schule, Kirche und Friedhof sind fast noch im Originalzustand erhalten geblieben.
Das Museumszimmer
Dr. Mykhailo Kostiuk aus Luzk, der sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Wolhyniendeutschen beschäftigt, hatte die Idee, einen Erinnerungsort zur deutschen Besiedlung von Wincentówka zu schaffen. In einem ehemaligen deutschen Wohnhaus, in dem sich heute die Dorfbibliothek und das Postamt befindet, war noch ein Zimmer frei. Zusammen mit Olga Tybor vom Verein der Deutschen in Wolhynien und dem Geschichtslehrer des Dorfes Zavitne, Vasyl’ Panas, hat er im Dezember 2019 das sogenannte Museumszimmer zur deutschen Besiedlung eröffnet.
Dort ist mittlerweile eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Kolonie mit alten Karten, einer Liste der im Winter 1939-1940 umgesiedelten Hausbesitzer, Büchern, alten Zeitungen sowie Objekten der Alltagskultur aus verschiedenen Epochen zu sehen. Der Museumszimmer wird von Schulkindern, Bewohnern und Gästen des Dorfes Zavitne, Nachkommen von Wolhyniendeutschen aus Deutschland und anderen Ländern der Welt besucht. Bisher wird es allein durch das ehrenamtliche Engagement getragen. Ein Besuch ist nach vorheriger Absprache mit dem Geschichtslehrer Vasyl Panas möglich, der auch Führungen anbietet.